Selbstorganisiert entscheiden, kann das gehen? Ja!

Das Thema Selbstorganisation beschäftigt immer mehr Organisationen. Beim Thema Entscheidungen scheiden sich die Geister. “Das kann doch nicht selbstorganisiert gehen, das gibt Chaos, da braucht es Führung von Oben!”. Gegenüber dieser Haltung stehen immer mehr gelungene Beispiele aus der Praxis.

Hier folgt eins. In 2016 wurde ich von einer Institution angefragt. Die Auftraggeberinnen waren -wie ich selber- inspiriert von Frederic Laloux und wollen sich im Thema Selbstorganisation weiterentwickeln. Da ich mich seit langem mit dem Thema Agilität und neue Formen der Führung beschäftige, bin ich mit viel Herzblut eingestiegen.

 

Ich möchte mit dieser Kurzbeschreibung aufzeigen, wie in einer Organisation konkret Erfahrungen gemacht werden können, selbstorganisiert übergreifende Entscheidungen zu treffen. In einem Prototyp wird Selbstorganisation erlebbar gemacht. Mit den Erfahrungen und Erkenntnissen kann dann überlegt werden, ob man sich auf diesen Weg machen will.

 

Die Ausgangslage

Die Organisation ist eine langjährige Institution in der Schweiz. Über 360 Mitarbeitende begleiten 200 Jugendliche und Erwachsene mit Autismus an verschiedenen Standorten. Die Intention ist mehr Eigenständigkeit der MitbewohnerInnen zu erreichen, u.a. indem sie einer sinnstifte­nden und erfüllenden Beschäftigung nachgehen können.

Die Leiterin des Wohnbereichs und der Leiter der Werkstätten kamen 2016 auf mich zu um in ihrem Bereich die Selbstorganisation neu zu erarbeiten. Neu, weil die Institution vom Ursprung basisdemokratisch ausgerichtet war. Im Zuge des Wachstums wurde eine Führungsstruktur notwendig. Ein negativer Nebeneffekt war, dass die Verbindung zu der Organisation als Ganzes zunehmend abhanden kam. Zurück zu der Basisdemokratie wollten meine AuftraggeberInnen aber nicht.

 

Der Beratungsprozess

Ich habe ihnen vorgeschlagen nicht theoretisch vorzugehen (Vortrag & Diskussion), sondern Selbstorganisation im Prototyp zu erleben, und zwar mit dem von Laloux beschriebene Beratungsprozess, ohne formelle Führung. Wie funktioniert das? Das Kernprinzip ist, dass jeder Mitarbeitende ermächtigt ist, eine übergreifende Entscheidung zu fällen, wenn zwei Bedingungen erfüllt sind:

  1. Der Mitarbeitende muss die Sichtweisen der Menschen erfragen, die von der Entscheidung betroffen wären.
  2. Der Mitarbeitende muss die Menschen um Rat fragen, die zum Thema Erfahrungen oder Wissen zur Verfügung haben.

Die Qualität des Interviews ist entscheidend, denn es ist kein Gespräch und auch keine Diskussion. Beim Interviewer sind das eigene Urteil und das Verteidigen der angestrebten Entscheidung ausgeklammert. Es geht darum die Sichtweisen der Interviewten zu verstehen und miteinzubeziehen.

 

Die Intervention

In einem 2-tägigen Workshop kamen 45 Mitarbeitende freiwillig zusammen. Am 1en Tag wurde u.a. mit wertschätzenden Interviews und Dialogen der Boden geschaffen. Das “Resultat” war ein besseres Verständnis der individuellen Sinnorientierung und die Verbindung zum Sinn der Organisation. Am 2en Tag wurde ein “Labor” geschaffen für neue Formen der Entscheidungsfindung. Sechs Personen übernahmen spontan Verantwortung für einen Beratungsprozess. Jeder von ihnen wollte etwas verändern oder etwas Neues realisieren. Nun fanden in Gruppen parallel die Interviews statt. Die KollegInnen konnten erst frei wählen, zu welchem Entscheidungsthema sie sich hingezogen fühlten, im 2en Durchgang, wählten die 6 “Führenden” ihre Interview-PartnerInnen selber. Der Unterschied war markant, nun mussten sie sich überlegen, welche Sichtweisen sie benötigen, damit die bestmögliche Entscheidung für die Organisation zu Stande kommen kann.

 

Beobachtungen & Erkenntnisse

  • Es entstand enorm viel positives Engagement, die Eigeninitiative für Verbesserungen wurde geweckt.
  • Das Verständnis der “Führenden” für den organisationalen Kontext wurde grösser. Ihnen wurde bewusst, was für ungeahnte Auswirkungen der Entscheid hätte.
  • Die Interviewten fühlten sich ernst genommen, einbezogen und geschätzt, die kollektive Intelligenz wurde genutzt.
  • Der Prozess hat eine selbstkorrigierende Wirkung. Eine Person zog, nach den Interviews, ihr Vorhaben zurück.
  • Es wurde Handlungsbedarf gesehen in der Befähigung für die Interviews (Haltung und Methodisches).

Wie ging es weiter?

In einem 2en Workshop wurden die Erfahrungen aus der Erprobungsphase ausgewertet. Die zwei AuftrageberInnen haben dann selber einen Beratungsprozess durchgeführt und entschieden, diesen Beratungsprozess verbindlich ein zu führen. Sie wollen sich dafür 3 Jahre Zeit nehmen. Im April wollen sie in einem workshop, nach der positiven Erfahrung mit der Selbstorganisation, das Thema „Ganzheit“ erlebbar machen.

 

Wer mehr erfahren oder selber ausprobieren möchte, kann sich gerne an mich wenden.

 

Newsletter abonnieren

Unser Newsletter erscheint alle 3-4 Wochen und stellt sicher, dass ihr nichts aus der Community verpasst.