Februar 2018
Kollaborative Wirtschaft | Entwicklungsmöglichkeiten in der Schweiz
Im Januar 2018 fand im Impact Hub Zurich die Vernissage zum Buch «Kollaborativ Wirtschaften – Mit der Methode des Community Organizing zu einer zukunftsfähigen Ökonomie» statt, das Ende letzten Jahres bei oekom erschienen ist. Mit dabei waren Johanna Muther, Community Builderin im Impact Hub, Jasmin Helg von Transition Zürich und Prof. Dr. Dominik Georgi von der Hochschule Luzern. Eine wichtige Aussage war, dass die kollaborative Wirtschaft aktuell schneller wächst als die herkömmliche Wirtschaft. Laut Experten könnten kollaborative Modelle rund 1/3 unseres Konsums abdecken, was sich aber in der Politik und der Ökonomie die wenigsten bewusst sind. Wie diese Potentiale nutzbar gemacht werden können, beschreibt Manuel Lehmann, Gründer des Thinkpact Zukunft, in diesem Blog.
Mein Buch zeigt auf, wie mit Methoden des Community Organizing und der Soziokulturellen Animation kollaborative Ansätze in der Wirtschaft wie Sharing, Social Entrepreneurship, Community-supported Agriculture (CSA), Lebensmittelkooperativen, Bau- und Wohngenossenschaften, Tauschkreise, etc. unterstützt werden können. Für das Buch habe ich sechs Zürcher Projekte untersucht und deren Macher/-innen interviewt. Daraus und aus entsprechender Fachliteratur leite ich konkrete Handlungsempfehlungen ab, wie kollaborative Wirtschaft gezielt gefördert werden kann.
Bedauerlich ist, dass die Potentiale der kollaborativen Wirtschaft für die nachhaltige Entwicklung, die Agenda 2030 der UNO (Sustainable Development Goals), aber auch für die gesamtwirtschaftliche Entwicklung, kaum erforscht sind. So spricht der Nationalfond in diesem Bereich so gut wie keine Forschungsgelder und ausgerechnet aus dem SECO (Staatssekretariat für Wirtschaft) kommt der Widerstand, dass dies sich ändert. Eine der wenigen Studien in diesem Bereich ist „Share City“ der Hochschule Luzern, Departement Wirtschaft. Prof. Dr. Dominik Georgi brachte daraus in die Diskussion an der Buchvernissage das Ergebnis einerUmfrage ein (repräsentatives Sample aus LINK-Panel), die zeigt, dass drei Faktoren Sharing am stärksten beeinflussen: Erstens die sog. «soziale Norm»: Wenn mein soziales Umfeld auch Sharing betreibt und es gut findet, wenn ich Sharing betreibe, dann mache ich eher mit bei Sharing-Initiativen. Sharing-Verhalten ist ein virales Phänomen, es kommt am ehesten in Communities zum Tragen. Zweitens das Vertrauen: Nur wenn ich den andere Beteiligten an der Sharing-Initiative und ggf. der dahinter stehenden Organisation vertrauen, nehme ich am Sharing teil. Drittens der Nutzen: Wenn Sharing den Nutzern einen Mehrwert liefert, beteiligen sie sich eher an Sharing-Initiativen.
«Diese Ergebnisse geben Institutionen, wie beispielsweise Städten, wertvolle Hinweise, wie sich Sharing entwickeln kann. Eine Stadt beispielsweise kann dazu beitragen, dass sich Sharing-Communities entfalten können, sie kann als Vertrauensanker für Sharing-Initiativen und -Nutzer dienen, und sie kann die Rahmenbedingungen so gestalten, dass Sharing einen Mehrwert für die Nutzer liefert.», so Projektleiter Prof. Dr. Dominik Georgi. Letzteres wird beispielsweise in internationalen Städten erreicht, indem Fahrgemeinschaften eigene Fahrspuren nutzen dürfen. Dadurch entsteht automatisch ein Mehrwert, wenn man das Auto gemeinsam nutzt.
Wie kann kollaborative Wirtschaft gefördert werden?
In meinem Buch beschreibe ich verschiedene Methoden und Möglichkeiten, um entsprechende Wirtschaftsförderung zu betreiben: Dies kann geschehen mittels Coworking Spaces, Transition Town-Initiativen, Ernährungsstrategien und -räten, Energieregionen und damit verbunden dem Konzept der Energieautonomie sowie Komplementär- und Lokalwährungen. Aber auch mit Initiativenlandkarten (Print, Web) sowie spezifischen Raumangeboten, wie sie in der Soziokulturellen Animation und der Gemeinwesenarbeit häufig gemacht werden, kann kollaborative Wirtschaft gestärkt werden. Besonders spannend finde ich die Erkenntnis aus meiner Forschung, dass es sich bei der kollaborativen Wirtschaft eher um Netzwerke als um eine soziale Bewegung handelt.
Wie meine Forschung weiter ergeben hat, besteht seitens der Akteurinnen und Akteure der kollaborativen Wirtschaft Bedarf an Vernetzung und spezifischer Wissensvermittlung in Bezug auf die eigene Tätigkeit. Von institutioneller Seite her (Politik, Verwaltung, Medien, Wissenschaft, Bildung) wünschen sich die Vertreter/-innen der kollaborativen Wirtschaft einen engagierten Einsatz für die Nachhaltigkeitsbildung, verstärkt mit einem Fokus auf die Potentiale der kollaborativen Wirtschaft. In diesem Kontext bringen sich die Initiantinnen und Initianten auch gerne ein und sind offen für Zusammenarbeiten. Aus zeitlichen Gründen suchen sie aber den Kontakt nicht von sich aus. Es braucht Personen und Organisationen, die eine intermediäre Funktion übernehmen. Mein Buch zeigt auf, wie diese Rolle ausgefüllt und wie vorgegangen werden kann.
Kollaborativ Wirtschaften in Zürich
In den grössten Schweizer Städten gibt es erste Ansätze für solche Zusammenarbeiten zwischen Vertreter/-innen kollaborativer Wirtschaft und den Institutionen. Auf nationaler Ebene steht man hingegen ganz noch am Anfang. Nächste Schritte sehe ich im Aufbau eines entsprechenden Wirtschaftsverbandes oder einer Handelskammer und in einem Ausbildungsangebot «Community Building im Bereich Nachhaltigkeit». In Zürich ist die Entwicklung bereits weiter fortgeschritten: Transitition Zürich und ab Frühjahr 2018 auch das Ernährungsforum (das aus meinem Projekt «Runder Tisch Ernährungswende für Zürich» hervorgegangen ist) leisten wertvolle Arbeit. All dies ginge aber nicht ohne die vielen Projekte kollaborativer Wirtschaft. Im Folgenden möchte ich fünf davor kurz vorstellen, welche die Potentiale der kollaborativen Wirtschaft veranschaulichen. Alle sind aus Zürich.
Ortoloco
Ortoloco ist eine selbstverwalteteGemüsekooperative. Es geht ihnen um hochwertige Lebensmittel, faire Arbeitsbedingungen und ökologische Produktionsmethoden.
Comedor Foodcoop
Ein Zusammenschluss von Leuten, die sich ihre Lebensmittel von den Produzenten direkt besorgen und gemeinsam bestellen.
Tauschen am Fluss
Tauschnetz in Wipkingen um Leute kennenzulernen, die Zeit und Talente tauschen wollen.
Plattform Genossenschaften
Netzwerk von verschiedenen, innovativen Bau- und Wohngenossenschaften; Organisation von Veranstaltungen, um Weiterentwicklung zu fördern.
www.plattform-genossenschaften.ch
Fablab Zürich
Selbstorganisiertes Lab mit 3D-Druckern und ergänzender Infrastruktur, das von den Mitgliedern genutzt werden kann.
Es gibt viele weitere Beispiele aus dem Bereich der kollaborativen Wirtschaft, die laut dem Ökonomen Jeremy Rifkin aktuell schneller wächst als die herkömmliche Wirtschaft. So hat das Netzwerk des Impact Hub Zurich inzwischen mehr als neunhundert Mitglieder, wie Johanna Muther an der Buchvernissage zu berichten wusste. Um den Austausch unter den Mitgliedern zu fördern, beschäftigt der Impact Hub Zurich fünf Personen. Transition Zürich macht entsprechende, nachhaltige Projekte über ihre Webseite sichtbar für eine breitere Öffentlichkeit. Für den Runden Tisch Ernährungswende habe ich mehrere hundert Unternehmen in Zürich mit einem Bezug zu Nachhaltigkeit nur im Bereich Ernährung gefunden.
Experten sagen, dass rund 2/3 unserer Konsumbedürfnisse im Kontext lokaler Wirtschaftskreisläufe abgedeckt werden könnten. Insgesamt 1/3 des Konsums könnte in kollaborativen Modellen erfolgen. Die Bedeutung könnte aber als bedeutend höher empfunden werden, da sich kollaborative Modelle beim Wohnen und der Ernährung in zwei besonders wichtigen Bereichen als besonders stark erweisen. Als äusserst wichtig könnte sich auch die Fintech-Branche und digitale Währungen herausstellen, da sie zur Stabilität des Finanzsektors beitragen. Dies aber nur dann, wenn die Modelle so angelegt sind, dass sie Spekulation verhindern. Und mit Vorteil haben sie einen regionalen Bezug, da so eine lokale Wirtschaft gefördert werden kann.
«Kollaborativ Wirtschaften» ist im Buchhandel erhältlich. Es wurde bei oekom veröffentlicht, dem führende Fachverlag für Umwelt und Nachhaltigkeit im deutschsprachigen Raum.
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